Thursday, 15 October 2015

Ein moderner Imperialist

Vor 800 Jahren wurde Kublai Khan geboren, der Mongole, der China einte

Khan
Am Ende plagten Kublai die üblichen Sorgen reicher Leute, Überdruss, Fettsucht, Gicht; der auserkorene Sohn war ein Säufer. Am Regierungsgeschäft fand der Alte keinen Geschmack mehr, meistens befand er sich in Xanadu, das inzwischen zu seinem Sommersitz geworden war. Wie später Ludwig XIV. ging auch er im eigenen Park auf Hirschjagd. Und sein Name wäre vielleicht längst vergessen, hätte nicht Samuel Taylor Coleridge im Sommer 1797 einen Opiumtraum gehabt.
Neues Deutschland 19 September 2015

Von Stefan Ripplinger

Kublai Khan war ein Imperialist, der lernfähig, ja lernbegierig war. Das unterschied ihn von den meisten Imperialisten der Neuzeit. Das verband ihn aber mit anderen Imperialisten des mongolischen Herrscherhauses, insbesondere mit seinem Großvater Dschingis Khan.
Dschingis hatte den Mongolen befohlen, die Welt zu erobern. Aber so grausam seine Eroberungszüge waren, so milde ging er mit Eroberten um, die sich unterwarfen. Kriegerisch nach außen, konziliant nach innen, so herrschte auch Kublai. Und so gelang ihm eine Vereinigung Chinas, dessen Gebiet vor seiner Regierungszeit bereits weit über hundert Jahre geteilt war. Die heutige Gestalt Chinas geht wesentlich auf seine Dynastie zurück.
Zugleich wandte sich Kublai von vielen hergebrachten Sitten und Gesetzen der Mongolen ab, was ihm von manchen als Verrat ausgelegt worden ist. Kublai war kein sentimentaler Mann, er hielt nicht an nomadischen Einrichtungen fest, die auf die sesshafte Bevölkerung, über die er nun regierte, nicht passten. Seine chinesischen Berater hatten ihm gesagt, er könne dieses Land nicht vom Rücken eines Pferdes aus regieren, also stieg er ab. Seine Berater hatten ihm gesagt, dass die Mitte eines chinesischen Reiches nicht im mongolischen Karakorum liegen könne. Also errichtete er die »obere Hauptstadt« Xanadu (Shangdu) und später Peking. Er hob das Alte auf. Er passte sich an. Und in manchem griff er seiner Zeit weit voraus, etwa als er, wie schon einige chinesische Herrscher vor ihm, Papiergeld ausgeben ließ. Es sollte ihm über manche wirtschaftlichen Engpässe hinweghelfen, denn wenn er Kapital brauchte, ließ er einfach mehr Geld in Umlauf bringen. Auf Fälschung stand ebenso die Todesstrafe wie auf die Weigerung, Banknoten anzunehmen.
Marco Polo, der in Diensten des Khans stand, konnte über diese Erfindung nur staunen. Er berichtet, dass das Geld von allen Untertanen des Khans gerne angenommen wurde, »denn wohin sie auch immer gehen, die Scheine gelten überall; die Leute erstehen damit ihre Waren, Perlen und Edelsteine und Gold und Silber. Alles und jedes können sie kaufen, die Scheine haben ihren Wert.« Doch nach einiger Zeit warf diese Geldpolitik ein Problem auf, das Europa erst Jahrhunderte später zu spüren bekam: Inflation.
Es hätte noch schlimmer kommen können. Gaichatu war der fünfte Il᠆khan, sein Reich erstreckte sich von dem Gebiet des heutigen Iran, des Irak und Syriens bis nach Turkmenistan und in den Kaukasus. Als sein verschwenderischer Regierungsstil ihn in Geldnöte brachte, führte er nach dem Vorbild des mit ihm befreundeten Kublai Ende des 13. Jahrhunderts ebenfalls Papiergeld ein. Das Experiment endete im Fiasko. Seine Untertanen akzeptierten das Geld nicht, es kam zu Aufständen. Wie über 400 Jahre später das französische Königshaus, musste dieser Khan schmerzlich erfahren, dass das System nur funktioniert, wenn es einen Gegenwert garantieren oder wenigstens suggerieren kann. In Kublais florierender Wirtschaft war das lange der Fall.
Kublais Wirtschaftspolitik war auch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Um notleidende Provinzen zu versorgen, bildete er vorsorglich Speicher und richtete Suppenküchen ein. Er ließ den Gouverneuren oft freie Hand. Das diente dazu, die Kontrolle über das gesamte Riesenreich zu bewahren. Denn Kontrolle mit Härte aufrechtzuerhalten, kostet mehr Mühe, als sich auf Vasallen zu verlassen. Vertrauensselig war Kublai allerdings nicht. Nach chinesischem Vorbild verfügte seine Verwaltung über ein so genanntes Zensorat, das nichts anderes zu tun hatte, als die Beamten zu überwachen.
Auch wenn die höheren Posten meist mit Mongolen und anderen Nicht-Chinesen besetzt waren, blieb der Mittelbau der Verwaltung den Einheimischen überlassen. So war es möglich, dass nicht einmal eine Million Mongolen über 70 Millionen Chinesen herrschen konnten, ja, dass Kublai mit fremden Truppen seine Kriegspläne durchsetzte. Als Kommunikationsnetz diente ihm die schon von seinem Großvater eingeführte Post. Über das ganze Land waren 1200 Poststationen verteilt. An diesen Stationen konnten Pferde und Boten ausgetauscht werden.
Dennoch dauerte es manchmal Wochen, bis eine Botschaft überbracht, ein Befehl ausgeführt und erst recht, bis er bestätigt wurde. Kein geringes Problem für das mongolische Weltreich, das damals von dem erwähnten Ilkhanat im Westen über das Khanat Tschagatai in Mittelasien, also Usbekistan und Kirgisien, und das Gebiet der Goldenen Horde in Südrussland, Kasachstan und Sibirien bis zu Kublais China reichte, das auch Korea und andere Ländereien umfasste. Solche gigantischen Gebiete ließen sich mit den damaligen Mitteln nur mühsam zentralistisch regieren. Denn was in der Hauptstadt galt, daran glaubten nicht alle Provinzen sich halten zu müssen. Auch deshalb bot sich die von Kublai und seinen chinesischen Beratern entwickelte Verbindung von Zentralismus und Teilautonomie an.
Die Aufgabe, dieses Reich auf eine sogar recht gedeihliche Weise zu führen, hätte selbst einem Ehrgeizigen genug sein können. Aber Kublai war es nicht genug. Mit enormem Aufwand ließ er zweimal Japan angreifen, 4000 Schiffe soll er eingesetzt haben. Vergeblich. Rein wirtschaftliche Gründe scheint dieser Überfall nicht gehabt zu haben, aus heutigen Erfahrungen heraus darf man vermuten, dass Aggression nach außen Straffung und Einigung im Innern bringen sollte.
Sowohl der Expansionsdrang als auch die Anpassungsfähigkeit der mittelalterlichen Mongolen war aber bereits in ihrer nomadischen Wirtschaftsweise angelegt. Kargheit und Knappheit drängten sie aus den Steppen. Die Begegnung mit Fremden waren sie auch in Friedenszeiten gewohnt, ja sie waren auf den Handel und den Umgang mit ihnen vielfach angewiesen.
Ihre von vielen Zeitgenossen beschriebene religiöse Toleranz ergab sich aus diesen notwendigen Begegnungen, aber auch daraus, dass die Mongolen selbst nur eine schwach definierte, synkretistische Religion ausgebildet hatten. So streng sie ihr Zusammenleben und ihre Familienverhältnisse regelten, in religiösen Dingen waren sie bemerkenswert großzügig. Ein Beispiel dafür ist Kublai selbst.
Sorkhatani, seine Mutter, war nestorianische Christin. Diese Spielart des Christentums hatte sich über die Seidenstraße in Zentralasien ausgebreitet und fand im 13. Jahrhundert unter den Mongolen etliche Anhänger. Während eine immer größere Zahl der Mongolen sich dem Islam anschloss, stand Kublai als Herrscher über China dem Buddhismus nahe. Eine rein opportunistische Wahl war das wiederum nicht, denn gegen den Protest vieler seiner Berater und Untertanen ließ er sich auch von dem aus Tibet kommenden Lamaismus beeindrucken. In religiösen Dingen war er von unersättlicher Neugier, er rief Versammlungen von Priestern und Theologen jeder Couleur zusammen, schickte Botschaften an den Papst und holte viele Muslime ins Land. Das hatte immer auch wirtschaftliche Gründe, denn etwa auf dem Gebiet von Medizin und Pharmazie war die muslimische Intelligenzija der anderer Kulturen weit überlegen.
Erst nach dem Ende der von Kublai ausgerufenen Dynastie Yuan (Uranfang) igelte sich China wieder ein und trieb alles Fremde aus. Pünktlich erinnerte man sich daran, was für ein Besatzer und Barbar dieser Kublai gewesen ist. Der Zerfall des mongolischen Weltreichs hatte aber schon zu seinen Lebzeiten begonnen, ja sein eigener Aufstieg war vielleicht der Anfang vom Ende. Denn Kublai war an die Macht gelangt, indem er andere Ansprüche überging und so einen jener Bruderkriege heraufbeschwor, die die vier mongolischen Großreiche auseinanderreißen sollten. Als er nämlich mit seinem Bruder Möngke, dem damaligen Großkhan, gegen die Südchinesen vorrückte, erkrankte Möngke an Cholera und starb. Anstatt den Kriegszug sofort abzublasen, wie es die Vorschrift gebot, führte Kublai ihn seelenruhig zu Ende.
Als er aber gesiegt hatte, kehrte er mit der gesamten Armee in den Norden zurück. Sein jüngerer Bruder Ariq Böke (Ariq, der Starke), der in Karakorum zurückgeblieben war, ahnte schon, was das bedeutete. Kublai wollte alle üblichen Regularien außer Kraft setzen und sich kurzerhand selbst zum Herrscher ernennen, auch noch zum Herrscher der Chinesen. Botschafter wurden enthauptet, Soldaten aufeinandergehetzt, aber Kublai setzte sich durch und der starke Ariq starb in Erwartung eines politischen Prozesses, vielleicht an Gift.
In solchen Angelegenheiten verhielten sich die mongolischen Herrscher auch nicht anders als irgendein Borgia. Am Ende plagten Kublai die üblichen Sorgen reicher Leute, Überdruss, Fettsucht, Gicht; der auserkorene Sohn war ein Säufer. Am Regierungsgeschäft fand der Alte keinen Geschmack mehr, meistens befand er sich in Xanadu, das inzwischen zu seinem Sommersitz geworden war. Wie später Ludwig XIV. ging auch er im eigenen Park auf Hirschjagd. Und sein Name wäre vielleicht längst vergessen, hätte nicht Samuel Taylor Coleridge im Sommer 1797 einen Opiumtraum gehabt.
Bruchstücke aus Samuel Purchas »Pilgerfahrten« wirbelten dem Dichter durch den Kopf, verbanden sich lose mit Natureindrücken aus dem nördlichen Somerset und Bildern überirdischer Frauen zu einer düsteren Vision: »Zu seiner Lust befahl Kublai Khan / Dass in Xanadu eine Residenz entsteh’ / Wo Alph, der heilige Strom, hinfloss, / In unermessliche Höhlen sich ergoss, / Hinab in eine finstere See.«

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